Dissertationsprojekt zur strafprozessualen Haft

Wieso Forschung?

Die Diskussion ist nicht neu: Schon lange sind zum Beispiel die Sprüche "U-Haft schafft Rechtskraft" und "Er/sie sitzt auf Geständnis" im Umlauf. Zwar ist die Untersuchungshaft gesetzlich geregelt und die Rechtsprechung dazu reichhaltig, es besteht jedoch weiterhin die Ansicht, weitere, aussergesetzliche (sogenannte apokryphe) Haftgründe seien "in Wahrheit" entscheidend für die Anordnung oder Verlängerung von Untersuchungshaft. 

Leider findet die skizzierte Diskussion über Zweck und Einsatz strafprozessualer Haft in der Schweiz beinahe ohne Fundament statt. Im Gegensatz zu den in letzter Zeit genau untersuchten und differenziert betrachteten Haftbedingungen in der Untersuchungshaft (konkrete Durchführung der U-Haft) wurde die Anordnung und Begründung der Untersuchungshaft in der Schweiz bisher nicht (vertieft) untersucht. Es existieren keine Anhaltspunkte über Relevanz einzelner Haftgründe oder über die Praxis bei den ausschlaggebenden erstinstanzlichen Behörden. 

Im Rahmen meiner Dissertation an der Universität Bern, Institut für Strafrecht und Kriminologie bei Prof. Dr. Hans Vest (Ordinarius für Strafrecht, Völkerstrafrecht und Rechtstheorie) soll deshalb nun die praktische Anwendung strafprozessualer Haft untersucht und die Diskussion damit auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden.

 

Meine Forschungsfragen

Ausgehend von der Erkenntnis, dass eine wissenschaftliche Untersuchung notwendig ist, ergeben sich (vereinfacht) die folgenden Forschungsfragen:

  1. Welchen Zwecken dient die Anordnung von Untersuchungshaft in der Praxis?
  2. Wie werden die einzelnen Haftgründe begründet? Welche Anpassung findet im Verlaufe des Strafverfahrens statt?
  3. Wer oder welche Akteure haben welchen faktischen Einfluss auf die Entscheidung über die Anordnung/Verlängerung strafprozessualer Haft?

Methodisches Vorgehen

Die Erforschung der Praxis kann einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Um Einseitigkeit und Verzerrungen zu vermeiden, sollen die genannten Forschungsfragen von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Geplant sind die folgenden Untersuchungen:

  • Auswertung und Analyse bestehender Erkenntnisse und gesetzlicher Vorgaben (inkl. Rechtsprechung) als Ausgangspunkt;
  • Eigene Aktenanalyse von Haftakten am Zwangsmassnahmengericht, qualitative Untersuchung der Haftanträge und Haftendscheide (bereits durchgeführt);
  • Eigene Umfrage bei den Akteuren auf der Stufe der ersten Instanz: Zwangsmassnahmengerichte, Staatsanwaltschaften und Strafverteidiger in der Schweiz.
  • Eigene Experteninterviews bei ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern der Zwangsmassnahmengerichte, Staatsanwaltschaften und Strafverteidiger zur Vertiefung der bereits gewonnen Erkentnisse.