Voraussetzungen strafprozessualer Haft

Untersuchungshaft

Untersuchungshaft ist eine strafprozessuale Zwangsmassnahme (geregelt in Art. 220-240 StPO), die den Strafverfolgungsbehörden vor Erhebung der Anklage (Art. 220 Abs. 1 StPO) zusteht. Die Haft richtet sich gegen nicht verurteilte, das heisst unschuldige Personen (Art.10 Abs. 1 StPO). Deshalb darf diese einschneidende Massnahme nur angeordnet werden, wenn dies im Gesetz vorgesehen und auch verhältnismässig ist. Insbesondere ist als allgemeiner Haftgrund ein dringender Tatverdacht erforderlich (Art. 221 Abs. 1 StPO, mit Ausnahme der Ausführungsgefahr nach Abs. 2), das heisst, im Moment des Haftentscheids muss sich eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund konkreter Anhaltspunkte mit erheblicher Wahrscheinlichkeit abzeichnen. Der dringende Tatverdacht muss während der gesamten Haftdauer vorliegen, das heisst, es muss in jedem Verfahrensstadium eine neue Prognose der Verurteilungswahrscheinlichkeit getroffen werden.


Besondere Haftgründe

Zusätzlich muss zumindest einer der gesetzlich geregelten, besonderen Haftgründe erfüllt sein (Art. 221 Abs. 1 lit. a-c StPO). Zunächst kann Untersuchungshaft aufgrund von Fluchtgefahr (lit. a) angeordnet werden, wenn die konkrete Befürchtung bzw. Wahrscheinlichkeit besteht, dass die beschuldigte Person ins Ausland fliehen oder auch in der Schweiz "untertauchen" und sich so der Strafuntersuchung entziehen könnte. Weiter liegt Kollusionsgefahr (lit. b) vor, wenn die konkrete Wahrscheinlichkeit besteht, dass die beschuldigte Person auf das Strafverfahren einwirken, insb. Personen oder Beweiserhebung beeinflussen oder verunmöglichen könnte (z.B. Beeinflussung von Zeugen, Verschwindenlassen von Beweismaterial). Dadurch muss die "Wahrheitsfindung" beeinträchtigt werden.  Des Weiteren liegt der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr (lit. c) vor, wenn die beschuldigte Person durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (ausnahmsweise ist gem. Rechtsprechung auch Wiederholungsgefahr ohne einschlägige Vortaten denkbar). Durch Anordnung von Untersuchungshaft soll die beschuldigte Person von der Begehung weiterer (gleichartiger) Straftaten abgehalten werden und gleichzeitig den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit gegeben werden, das Verfahren ohne weitere Verzögerungen (weitere Delikte) zu Ende zu führen. Ein Spezialfall stellt schliesslich der präventive Haftgrund der Ausführungsgefahr (Art. 221 Abs. 2 StPO) dar. Hier wird kein dringender Tatverdacht bezüglich einer bereits begangenen Straftat verlangt, sondern es reicht bereits aus, wenn die beschuldigte Person mit einem schweren Verbrechen gedroht hat und diese Drohung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch umsetzen wird.

Verhältnismässigkeit

Immer zu beachten ist die Verhältnismässigkeit. So darf Untersuchungshaft nur so lange wie erforderlich angeordnet und aufrecht erhalten werden - Freiheitsentzug muss die Ausnahme bleiben (Art. 212 Abs. 1 StPO). Insbesondere ist Untersuchungshaft dann unverhältnismässig, wenn die Dauer der Haft in die Nähe der schliesslich zu erwartenden Freiheitsstrafe rückt. Im Rahmen der Verhältnismässigkeit muss weiter auch die Möglichkeit der Anordnung von Ersatzmassnahmen geprüft werden (Art. 237 Abs. 1 StPO). Diese stellen ein milderes Mittel als die Haft dar (z.B. Sicherheitsleistung, Rayon-/Kontaktverbote, Meldepflichten etc.).

Haftverfahren

Angeordnet wird die Untersuchungshaft vom Zwangsmassnahmengericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft (Art. 220 Abs. 1 und Art. 225 ff. StPO). Der Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgt schriftlich und mit kurzer Begründung (sowie unter Beilage der wesentlichen Akten, Art. 224 Abs. 2 StPO). Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet in der Regel nach einer nicht öffentlichen, mündlichen Verhandlung. Die Verlängerung bestehender Untersuchungshaft richtet sich nach Art. 227 StPO, die Beurteilung von Haftentlassungsgesuchen nach Art. 228 StPO.

Sicherheitshaft

Als Sicherheitshaft gilt die Haft während der Zeit zwischen dem Eingang der Anklageschrift beim erstinstanzlichen Gericht und der Rechtskraft des Urteils, dem Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion, dem Vollzug der Landesverweisung oder der Entlassung (Art. 220 StPO). Die Anordnung (bzw. Aufrechterhaltung) von Sicherheitshaft ist an dieselben Voraussetzungen geknüpft wie diejenigen der Untersuchungshaft (vgl. Art. 221 Abs. 1 StPO).


Weitere Informationen / Links

Auf den folgenden Seiten finden sich zusätzliche, interessante Informationen zur strafprozessualen Haft. Es wird keine Haftung für die Inhalte der hier verlinkten Seiten übernommen!
  • Gfeller/Bigler/Bonin, Homepage zum Buch Untersuchungshaft, Ein Leitfaden für die Praxis, Zürich 2017 (Link);
  • Künzli/Frei/Schultheiss, Bericht zu den Haftbedingungen zu Handen des  Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR), Bern 2015 (Link);
  • Jeker, Blog strafprozess.ch mit Beiträgen zur Untersuchungshaft (Link);
  • Bundesamt für Justiz, Übersicht über den Gesetzgebungsprozess bei der Vereinheitlichung des Strafprozessrechts 2011 mit erläuternden Berichten, Botschaft etc. (Link);
  • Bundesamt für Justiz, Laufendes Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Strafprozessordnung (Vernehmlassungsverfahren) (Link);
  • Bundesamt für Statistik, Sanktionen und Untersuchungshaft (Link);
  • Amt für Justizvollzug Zürich, Informationen zur Untersuchungs- und Sicherheitshaft (Link);
  • Schweizer Radio und Fernsehen, SRF Data, Projekt Zwangsmassnahmenentscheide, 22.08.2018 (Link).

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